27 MAI | 19:00 UHR
Wie es zu der Ausstellung „Fussbal, Puma, Künstler“ kam?
Ich muss gestehen, als ich die Nachricht bekam, dass die Blaue Ball Nacht 2006 unter dem Motto FUSSBALL stehen würde, war ich nicht begeistert. Ich saβ mit Boguś Bachorczyk auf dem Sockel des Hans-Sachs-Denkmals neben einem Straβencaf é, dessen Plätze restlos mit Nürnbergern besetzt waren, die in vollen Zügen die Oktobersonne genossen. Wir tranken Kaffee, und ich beklagte mich, dass Fuβball als Thema einer die ganze Nacht andauernden Kulturveranstaltung im Krakauer Haus meine Fantasie irgendwie nicht beflügelt, dass die Deutschen im WM-Jahr sowieso vom Fuβballfieber befallen sein werden und dass noch mehr Veranstaltungen zum Thema Fuβball daher wirken müssen, als legte man eine Nadel auf einen Heuhaufen, damit er höher wird. Ich beschloss also, für das Krakauer Haus eine Völlig Fuβballfreie Zone vorzuschlagen, Ohne Bälle Oder Andere Runde Gegenstände, eine Zufluchtsstätte für jene, denen Emotionen beim Anblick eines grünen Rasens mit darauf rumrennenden jungen Kerlen in kurzen Hosen gänzlich wesensfremd sind. Ich organisiere stattdessen Konzerte und Begegnungen und Vernissagen und …
„… und niemand wird kommen“, platzte Bachorczyk in meine Fantasien. Ich wusste, er hat Recht. Mehr noch: Ich wusste, dass sogar ich, die ich im Alltag dem Fuβball völlig gleichgültig gegenüberstehe, während der WMs seiner Magie erlegen bin, dass ich mit angehaltenem Atem den WM-Verlauf verfolge und nichts und niemand mich dann in irgendwelche Konzerte oder Vernissagen bekommt.
„Ich hab da eine Idee”, meinte Bachorczyk, der am Tag zuvor im Krakauer Haus eine Ausstellung seiner Arbeiten eröffnet hatte. „Machen wir doch eine Ballausstellung. Du suchst einen Sponsor, der uns die Bälle liefert, ich bitte in Krakau ein paar Künstler, sie als Arbeitsmaterial zu benutzen, und du wirst sehen, sie zaubern uns ein paar Schmuckstücke.“
PUMA POLSKA erwies sich als gnädiger Sponsor. Von ihnen bekamen wir nagelneue Bälle, Trikots in den polnischen Farben, in denen wir auf der Vernissage in Nürnberg Polen Würdig Repräsentieren können, sowie das Angebot, die Ausstellung anschlieβend im Puma-Geschäft in Krakau zu zeigen. Den Rest besorgten die Künstler. Das Ergebnis übertraf meine Erwartungen. Ich lade Sie herzlich zu einer Fantasiereise zum Thema Fuβball ein…
Slawek Shuty schrieb zwei Texte für das Katalog: Einleitungstext und eine Krimigeschichte über das Schicksal der Bälle, die er für die Ausstellung gestalten sollte:
Arena meiner Kindheit waren die Achtzigerjahre, eine Zeit, die aus der heutigen Perspektive gesehen schwer war, doch damals wurde sie von uns Kindern als etwas völlig Normales angesehen, als Wirklichkeit, die nun mal so ist und sich auch nie ändern wird. Es war wie es war; man freute sich über jede Kleinigkeit, die man im Laden ergattern konnte, und als mein Bruder einmal drei Orangen bekam (3 Stück, nicht 3 Kilo), war die Freude so groβ, dass wir beschlossen – na ja, eigentlich beschlossen nicht wir, sondern das Familienoberhaupt, unser Vater, beschloss –, sie nicht zu essen; es wurde entschieden, dass sie ihren Platz auf dem Fernseher finden und dort unsere Augen erfreuen sollten, wir würden uns an ihrer fröhlichen Farbe ergötzen und uns ihren saftigen Geschmack vorstellen. Niemand wagte sie dort wegzunehmen – Vater hatte eine schwere Hand –, so dass sie schlieβlich matschig wurden, zusammenfielen und verschimmelten.
Trotzdem wussten wir uns zu helfen; alles, was nicht zu bekommen war, stellten wir auf Hausmacherart her; so konnte man zu Hause beispielsweise Schokolade machen (sofern jemand das Glück hatte, Kakao und Pulvermilch zu erwischen, die für den Herstellungsprozess unentbehrlich waren), Bonbons – aus Zucker, der auf einem Löffel über dem Gasherd geschmolzen wurde (sofern es Zucker gab) – und Selbstgebrannten. Letzteres war am einfachsten, nur dass sich während der Destillation entsetzlicher Gestank breit machte, der leicht das Interesse der Nachbarn wecken konnte, und das Denunziantentum war groβ in Mode.
Zu unseren liebsten Kinderspielen gehörten Schlachten mit Erdklumpen auf Schutthaufen, Lagerplätzen von Drähten und Betonplatten neben angefangenen und nie fertiggestellten Häusern, Verfolgungsjagden in den Baugruben und auf den Bergen – wie wir sie nannten – hinter dem aufgerissenen Kirchplatz, das Erkunden von Kriegsbunkern und Kellern verlassener Häuser, das Herumstöbern in Mülltonnen, in denen es immer etwas Interessantes zu finden gab, beispielsweise benutzte Spritzen (in den Mülltonnen am Krankenhaus). Sehr verbreitet waren Kriegsspiele; im Grunde befand sich unser ganzer Stadtteil Nowa Huta in permanentem Kriegszustand; Viertel kämpfte gegen Viertel, Häuserblock gegen Häuserblock, Treppenhaus gegen Treppenhaus. Die Kriegshandlungen wurden mit verschiedensten Gerätschaften geführt, mit Knetegeschossen, die durch gläserne Blasröhrchen abgefeuert wurden, mit Metallhaken, die – mit Katapulten abgefeuert – ernsthafte Verwundungen zufügen konnten, mit von oben abgeworfenen „Wasserbomben“ … Oft jedoch mündeten solche Zwiste in Fuβballduelle. Fuβball war eine massenhaft und überall betriebene Sportart; im Grunde war es die einzige Sportart, der wir uns schon von klein auf hingaben, der sich unser ganzer Stadtteil Nowa Huta hingab. Häufig wurden verschiedene Arten von Wettkämpfen und Turnieren organisiert; nicht selten waren das spontane Initiativen, Trainingsspiele, weshalb auch jedes Team in den schulfreien Momenten bemüht war, auf den Betonplätzen zwischen den Plattenbauten seine Fertigkeiten zu verbessern. Und selbst wenn es zwischen den Parteien – ob es nun Viertel, Schulen oder Klassen waren – vorher zu offenen Kämpfen gekommen war, so wurde während des Spiels stets das Prinzip des Fairplay eingehalten. Ging es auch manchmal heiβ her, so kam es doch auf dem Fuβballplatz nie zu Prügeleien.
Eines Tages drang in unser sorgloses Fuβballspiel die schmerzhafte Wirklichkeit der gesellschaftlichen Veränderungen. Es kamen Zeiten, in denen unser Spiel mit dem Moment endete, in dem eine in der Luft hängende Tränengaswolke die Fortsetzung unmöglich machte (es war die Zeit des Bürgerkrieges, der Kämpfe der Volksmacht mit dem Untergrund – der Gewerkschaftsbewegung „Solidarität“). Dann stiegen wir bis ins oberste Stockwerk des Treppenhauses und beobachteten von dort aus das Schlachtfeld, die Panzer, die den Rasen umgruben, die Wasserwerfer, deren Spritzwasser mit einem roten Farbstoff versetzt war, der sich kaum wieder aus der Kleidung entfernen lieβ, die Markierungs-Leuchtraketen, Maschinengewehrsalven, Einschläge kleiner Granaten, den grauen Tränengasnebel, der bis in die Wohnungen drang und das Wasser in den Augen zusammenschieβen lieβ, die durch die Grünanlagen fegenden motorisierten Einheiten der Bürgermiliz, die mit langen weiβen Schlagstöcken auf alle Gegner der damaligen Machthaber einschlugen …
So vermischte sich für uns die Welt des Sports gerade in dem Moment auf beängstigende Weise mit der Welt der groβen Politik, als wir erwachsen genug waren, um uns schmerzlich bewusst zu werden, dass das Leben einen begrenzten Wert darstellt, dass auch wir früher oder später den Hauch des Todes im Nacken spüren werden, als der Schleier der kindlichen Naivität von uns abfiel, als unser Land von einer Welle von Sportskandalen, Beamtenkorruption, Schiedsrichterbestechungen, gezinkten Spielen – kurz gesagt, von sportlichem Schund – erschüttert wurde und wir begriffen, worum es in dem ganzen Chaos eigentlich geht, nämlich darum, dass der Ball rund und das Tor eckig ist und dass das Volk – wie das Volk nun mal ist – Spiele braucht.
Sławomir Shuty
Das von der Gruppe „Duet“ in der Zusammensetzung Sławomir Shuty und Daniel Rycharski anlässlich der in diesem Jahr, d.h. anno domini 2006, stattfindenden Fuβball-Weltmeisterschaft vorbereitete Projekt sah eine Kombination von Malerei (d.h. Einsatz sog. Maltechniken), Soziologie (der vielsagende soziale Hintergrund) und der überaus lustigen katholischen Moral vor – aufgetragen auf drei zum Fuβball Spielen bestimmte Lederbälle; diese sollten weiβ angestrichen und dann sollte noch etwas mit ihnen gemacht werden, aber was, das sollte sich erst herausstellen.
Leider konnte das Projekt – aus Gründen, die teilweise bei den Gestaltern lagen, teilweise aber auch nicht – nicht entsprechend den zuvor festgelegten Vorgaben umgesetzt werden. Schuld an dieser traurigen Tatsache bin im Grunde ich, der Erzähler, das bereits erwähnte Mitglied der Gruppe „Duet“, Sławomir Shuty.
Der erste bemalte Lederball verschwand während eines Geplänkels mit meiner Lebensgefährtin, als ich an einem Dienstagabend des Monats April kurz vor den Osterfeiertagen in ihre Wohnung drang und sie mit einem Liebhaber erwischte, der sich bis dahin als Freund des Hauses ausgegeben hatte – er war gekommen, hatte sich eingeschmeichelt und den Konsum geistiger Getränke angeregt –, in einer Situation, die nicht viel zu wünschen übrig lieβ, und es ist gut, dass das Ganze nur mit dem Verlust eines Balles endete; es hätte schließlich viel schlimmer kommen können; Fälle von Mord und Totschlag im Liebesaffekt sind ja durchaus nicht selten; die Blätter der Geschichte sind voll davon.
Der erste Ball war in den polnischen Nationalfarben Weiβ und Rot angemalt; auβerdem trug er das Bildnis eines groβen polnischen Sportlers, des Torhüters Jan Tomaszewski, Kapitän jener polnischen Nationalmannschaft, die bei der Fuβball-WM im Jahre … ich hoffe, ich lüge jetzt nicht … 1974 die Bronzemedaille holte (echt gut!).
Der zweite, rot und weiβ angemalte Ball (Hervorhebung der roten Farbe als Bezugnahme zum Blut) wurde an einem der Abende, die auf jenes Ereignis, d.h. jene Wirren im Liebesleben, folgten, als Pfand hinterlegt, als nämlich einer der Teilnehmer an diesem Projekt (s.o.) an diversen Zechgelagen teilnahm, die nicht selten als Orgien endeten. Auf dem zweiten weiβen Ball war das Bildnis eines Fuβballfans zu sehen, der nach gewonnenem Spiel einen Schrei der Freude von sich gibt, einer Freude, die gewöhnlich im Zerschmettern von Schaufensterscheiben, Abfackeln von Papierkörben, Umkippen von Bussen des öffentlichen Nahverkehrs und in Extremfällen auch schon mal dem Erschlagen eines zufällig vorbeikommenden Ausländers ihren Ausdruck findet. Dazu ist zu erklären, dass die fanatischsten Fuβballfans zumeist auch die allereifrigsten Patrioten sind, bereit, für die Verteidigung der Ehre und der Farben ihres Vereins sowie der Republik Polen das Leben zu geben – wie erwähnt in der Regel natürlich das Leben eines zufällig vorbeikommenden Ausländers.
Der dritte weiβe Ball stellte die Heilige Jungfrau von Ludwinów dar, welche nach der Niederlage der polnischen Mannschaft bei der Fuβball-WM in Japan und Südkorea bittere blutige Tränen weinte. Polen überstand damals nicht einmal die Vorrunde, was eine nationale Katastrophe darstellte und das ganze Land in Verzweiflung und als unmittelbare Folge davon in wirtschaftlichen Niedergang stürzte. (Vielleicht waren es aber auch nur die hinterhältigen Hooligans von Ludwinów – eines ehemaligen Stadtteils von Krakau –, die der Heiligen Jungfrau rote Tränen anmalten und damit auf barbarische Weise diese gesetzlich geschützte Kultstätte schändeten.) Aus ästhetischen Gründen wurde der dritte Ball weiβ übermalt und verbessert, d.h. statt der blutige Tränen weinenden Heiligen Jungfrau von Ludwinów erhielt er das Bildnis eines vor Freude brüllenden Fuβballfans, dessen im Schrei geöffneter Mund sich an die malerische Tradition vergangener Jahrhunderte anlehnt. Zur Verstärkung des Effekts wurde das Porträt des Fans sozusagen in Rot getaucht, was, wie bereits erwähnt, an das im Namen des edlen Spieles Fuβball vergossene Blut erinnern soll.
Der Zyklus der drei weiβen Bälle, von denen der erste weiβ-rot, der zweite hingegen rot-weiβ sein sollte, sollte die Entwicklung des polnischen Fuβballs am Ende des 20. Jh., die Entwicklung der fuβballerischen Idee sowie als Zusammenfassung dieser Geschichte die polnische japanisch-koreanische Verzweiflung veranschaulichen. Wie bereits erwähnt, sind leider zwei dieser Bälle abhanden gekommen, und zu ergänzen wäre, dass sie alle drei in Eierverpackungen gehüllt werden sollten. Dieses Arrangement sollte suggerieren, dass es sich sozusagen um dicke Eier handelt, genauer gesagt um groβe weiβ-rot-schwarze Ostereier, denn auch die Fuβball-WM findet dieses Jahr nach Ostern statt, und ich möchte noch einmal erwähnen, dass ich zu diesen, oder genauer gesagt kurz vor diesen meine Lebensabschnittsgefährtin in einer überzweideutigen Situation angetroffen habe.
Im Namen der Gruppe „Duet“ möchte ich mich für die Ungelegenheiten und die begrenzten visuellen Eindrücke entschuldigen. Allen interessierten Personen schicke ich gern die Bildnisse des erfreuten Jan Tomaszewski und der weinenden Jungfrau von Ludwinów.
Mit dem Ausdruck der Beschämung im Namen der Gruppe „Duet“
Sławomir Shuty.















